"Offscreen – Wenn Bilder jenseits ihrer Ränder zurückblicken"
Sigrid Adorf
Fink Verlag 2021
Auszug
What is an image? (Mitchell 1984) / Was ist ein Bild? (Boehm 1994) – What do pictures really want? (Mitchell 1996) – Der durchschlagende Erfolg der ikonischen Titel zur Bilderfrage und zum vermeintlichen Pictorial oder Iconic Turn verdankt sich nicht zuletzt der formelhaften Kürze der Titel. Angesichts der großen Unübersichtlichkeit, die der Bilddiskurs seither angenommen hat, ist die suggestive Kraft dieser Fragen, ihr Versprechen auf Beantwortbarkeit, jedoch irreführend. Mitchell selbst, und daran soll hier einleitend erinnert werden, verfolgt mit seinem Text zur Frage, was Bilder denn eigentlich wollen, nicht die Absicht, dies abschließend zu beantworten.
Vielmehr wird in seiner Argumentation die Frage selbst zur Antwort und öffnet den Blick für das, was Images as Agents zu bewirken vermögen. Er greift die wiederkehrende Rede von der Macht der Bilder auf und dreht sie gleichsam um: Statt nach der Macht der Bilder, also dem, was sie vermeintlich haben und bewirken können, zu fragen, fordert er dazu auf in einem kritischen Sinn nach dem Begehren der Bilder zu fragen, also dem, woran es ihnen mangelt und was sie wollen; statt sie also mit der Vorstellung zu belehnen, sie seien im vollen Besitz von Präsenz und Evidenz etwa, wie es viele kunsthistorische Bildtheorien konstatieren, ginge es vielmehr darum, sie in ihrer tatsächlichen Ohnmacht zu erkennen.
[…]
„for those, who ‚do‘ not watch“ – ‚Designte‘ Erfahrungen und ihre Nacherzählung in Gabriela Löffels Video Installation Offscreen Ein junger Mann reist mit einem Pauschalangebot für Abenteuerreisen in den Iran und nach Afghanistan, um sich ein Bild von den Krisenregionen zu machen; er möchte eigene Erfahrungen sammeln, Informationen prüfen – so oder ähnlich ließe sich in groben Zügen die Geschichte skizzieren, von der die Schweizer Künstlerin Gabriela Löffel in ihrer Arbeit Offscreen (2012-2013) ausging. Information, Erfahrung und Erzählung, jene Begriffe, um die die zitierte Stelle aus Benjamins Baudelaire Studie kreist, lassen sich rasch damit verknüpfen. Da ist die Rede von den Informationen in den Medien, die von der eigenen Erfahrungsrealität abgelöst erscheinen, der Versuch, durch eine Reise Erfahrungen zu machen und schließlich die künstlerische Arbeit von Löffel, die davon erzählt. Als ich die Arbeit 2015 erstmalig im Helmhaus in Zürich in der Ausstellung Geschichte in Geschichten sah, stellte sich rasch die Frage ein, welche Geschichte diese Arbeit mir damit eigentlich wirklich – d.h. wirksam werdend – erzählt. Gerne möchte ich, ausgehend von Benjamins Gedanken versuchen Aufschluss darüber zu gewinnen, welche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Information, Erzählung und Erfahrung diese Arbeit zeigt und welche sie mir als Betrachterin ermöglicht. Dazu zunächst eine weitere grobe Skizze zur Situation in der Ausstellung: Auf drei großformatigen Projektionsflächen sind Videoaufnahmen zu sehen; über Kopfhörer mit Funkverbindung hört man einen gesprochenen Text und kann dabei frei herumlaufen. Bild und Text verhalten sich nicht synchron. Ich höre einen Reisebericht und sehe Kulissenaufnahmen in Filmstudios auf den zwei diagonal in den Raum stehenden freien Screens sowie Stuntleute in Trainingskleidung beim Proben von Actionszenen auf der Wand in der Mitte. Die knappe Aufzählung der medialen Ebenen macht bereits deutlich, dass es sich bei der Installation um eine komplexe Montagearbeit handelt, der in Textform grundsätzlich schwer beizukommen ist. Löffel bezeichnet den Erzähltext, der als Audioebene eingebunden ist, als Mittelpunkt der Installation, weswegen ich hier damit beginnen möchte – zumal er den schriftlichen Einstieg in den intermedialen Erzählraum der Arbeit erleichtert. Er basiert auf einem Gespräch, das die Künstlerin mit einem jungen Mann führte, der ihr seine Reiseerfahrung mitteilte. Den von ihm gesprochenen Text transkribierte sie und arbeitete ihn anschließend zu einem geschlossenen Text um, den sie von einem Schauspieler sprechen und im Studio als Voice Over aufzeichnen ließ. Der Text beginnt: „Das Inserat fur diesen Urlaub in Krisengebieten sah ich in der Zeitung vor ungefähr einem Jahr – Abenteuertrip – Ich wurde darauf aufmerksam, weil hauptsächlich auch Reisen in den Irak angeboten wurden. Ich hatte damals gerade mein Studium abgeschlossen und das war dann sozusagen meine Belohnung“.
Zu den aus seiner Sicht schnell erschöpften Möglichkeiten noch vor Familiengründung und festem Job ein Abenteuer zu erleben, fuhrt er aus: „Amerika das ödete mich an mit dem ganzen Einreiseprozedere und so und Südamerika das interessiert mich zu wenig. […] Und Afghanistan ist ja jetzt auch zehn Jahre im Krieg seit dem 09/11, das war auch mit ein Grund, wieso ich da hin wollte.“ Für die zwei Wochen Afghanistan habe er schon € 9500 zahlen müssen, aber es habe eben auch etwas Rechtes sein sollen. Die Erzählung ist die eines zufriedenen Kunden („zu 75% war ich schon zufrieden“). Während der ganzen Reise habe er sich sehr sicher gefühlt, erklärt er, weil er auf Schritt und Tritt von einem bewaffneten, ehemaligen Mujahedin-Kämpfer begleitet wurde, der Kampfanzug und Waffe auch mal im Auto liegen gelassen und an dessen Anwesenheit er sich schnell gewöhnt habe – „Und es ist ja nicht so, dass es das Gefühl gab von, wie soll ich sagen ,,overprotected‘!“
Der Reisende berichtet, dass es zu Beginn auch die Idee gegeben habe, etwas zu Robert Young Peltons Buch The Worlds Most Dangerous Places beizutragen, was dann aber nicht zustande gekommen sei. Der Titel ist schnell zu finden ebenso wie die dazugehörige Internetseite Coming Back Alive, die Pelton unterhält. Beide sprechen eine andere, erwartbare (Bild-)Sprache – Dschungel, stark bewaffnete Kämpfer, Totenkopfgrafiken, vom Hunger gezeichnete afrikanische Kindergesichter usw. –, die als Gegenstück zu Löffels Inszenierung funktioniert, auch wenn oder gerade weil sie in ihrer Arbeit nicht gezeigt wird.
„This is the only way professionals, intellectuals, and modern day explorers can visit the world’s most inaccessible places with comfort, security and insight“ zitiert Gabriela Löffel in ihrem Cahier d’Artiste 2015 die Ausschreibung des Reiseanbieters. An anderer Stelle heißt es: „After dinner we can stop in for a drink at the bar downstairs to meet security contractors, NGO workers, and war correspondents before drifting off to sleep in a comfortable, colonial style room.“ – Das Bild stellt sich schnell ein, verdichtet aus zahllosen Filmbildern, Romanerzählungen, eigenen Erfahrungen. Die Künstlerin fand die Werbung fur das ungewöhnliche Pauschalangebot 2011 in einer Zeitung. „Go behind the headlines“ – tagtäglich versorgten internationale Medien die Gesellschaften der NATO Bündnispartner seit 09/11mit wiederkehrenden Bildern und Erzählungen zu Kampfzonen, Rückschritten im Bildungs- und Gemeinwesen, Zerstörungen des kulturellen Erbes etc., die den Einsatz von Truppen rechtfertigen sollten. Gleichzeitig waren sie Ort der öffentlichen Kontroverse um den Einsatz ,junger Soldaten fern ihrer Heimat‘ und der zunehmenden Empörung über die mangelnde politische Definition der Operationen. Die Offensiven der Presse, die die militärischen Einsätze begleiteten, konnten die Widersprüche nicht lösen, aber die sich wiederholenden Muster verstärkten den Eindruck, die Wirklichkeit hinter all den Schlagzeilen gar nicht gezeigt zu bekommen. Es ist zum Allgemeinplatz geworden, die Manipuliertheit von Pressebildern annehmen zu müssen und die Authentizität des Dargestellten zu bezweifeln. Im digitalen Zeitalter, in dem nicht nur offizielle Pressemeldungen aus aller Welt, sondern auch unabhängige Kanäle rund um die Uhr Botschaften senden, scheint das Versprechen, sich ein eigenes Bild machen zu können, tatsächlich verlockend. Die Reiseveranstalter von „AFGHANISTAN UNCOVERED“ versprechen, dass sie Erfahrungen „designed“ hätten, die ein Fenster in die sich rasant ändernde Welt öffneten und das Leben verändern könnten. Der Abschnitt „TRIP STYLE“ schließt mit der Feststellung: „This is a trip for those who ‚do‘, not watch“ –. Ehrlicherweise setzt selbst der Werbetext hier Anführungszeichen.
Gabriela Löffel hat die Anzeige gelesen und reicht sie weiter – ‚ohne Kommentar‘. Die zurückhaltende Geste des Zitierens lässt die unverhohlene Werbeprosa als objet trouvé für sich sprechen – oder richtiger musste es heißen: gegen sich, denn die Exponierung fuhrt zur Selbstanzeige. Das Versprechen, alles geboten zu bekommen – die erregende Nähe zur Gefahr, die Fülle der Informationen aus erster Hand, die Sicherheit erfahrener Begleiter, den Komfort der ‚Herrschenden‘ („colonial style“), kulturelle Begegnungen – evoziert ein Begehren, das Zweifel an der ethischen Vertretbarkeit einer solchen ‚all-inclusive‘-Reiselust aufkommen lässt. Aber gerade hier hält sich die künstlerische Darstellung zurück: Die Frage, wie schamlos eine solche Offerte ist, mag man sich stellen – sie mag auch bereits Ausgangspunkt der künstlerischen Recherche gewesen sein, aber sie wird weder explizit formuliert noch beantwortet. Vielmehr wird sie weitergereicht.
Der Erzähler zeigt sich beeindruckt von den Landschaften und kulturellen Bräuchen, von der ihm entgegengebrachten Gastfreundschaft, aber auch – trotzdem er sich enttäuscht zu den Besuchen in amerikanischen Militärstationen äußert, weil diese nicht so aufregend waren, wie erhofft – von der Nähe zum ,Weltgeschehen‘: So hätten sie bei Bagram übernachtet und die vielen Flugzeuge registriert, aber erst am nächsten Tag durch eine SMS aus der Schweiz erfahren, dass Bin Ladens Haus gestürmt wurde: „Also wir waren da, wo er getötet wurde, genau in der Nähe vom Flughafen. Und das war schon irgendwie beeindruckend, wenn man so ein Teil der Weltgeschichte ist, quasi!“. Diese Nähe zu einem international beachteten Ereignis, das von vornherein als historisch deklariert wurde, war nicht planbar. Andrea Cinel schreibt dieser Sequenz in der Erzählung daher die Bedeutung einer einbrechenden Realität zu: „[T]here is a moment in the narration where reality regains the upper hand over pretence and the story becomes history.“. Doch so sehr dieses Ereignis als ein Hereinbrechen der Realität erlebt worden sein mag, so wenig funktioniert es als solches in der nachträglichen Erzählung, in der es, gewollt oder nicht, nur die Logik der Abenteuerreise in ihrer ursprünglichen Intention zu bestätigen vermag – ‚ history becomes story‘.
An eben dieser Stelle interveniert die Erfahrbarkeit von Offscreen: Löffel bricht die authentifizierende Geste des Augenzeugenberichts durch die eigentümliche Spannung, die die professionelle Sprecherstimme zu den offenkundig mündlich vorgetragenen Ursprungssätzen erzeugt. Sie verlieren ihre emotionale Färbung und werden förmlich versachlicht. Auch auf der Bildebene arbeitet die Künstlerin mit Aufnahmen, die nur in indirekter Beziehung zum Gesprochenen stehen und den sonst gängigen Kurzschluss eines sich wechselseitig beglaubigenden Text- Bild-Verhältnisses, wie es der dokumentarischen Konvention entspräche, verhindern. Die Aufnahmen entstanden in den Filmstudios von Babelsberg, dem deutschen Hollywood, und zeigen undefinierte, vielseitig einsetzbare Innenräume, eine Flugzeugattrappe für Innenaufnahmen, Häuserfassaden einer Berliner Straße, wie sie in zahlreichen Filmen zum zweiten Weltkrieg verwendet worden sein durften, Kulissenbauten, Innenräume mit offener Decke, Beleuchtungstechnik, Vorhänge. Die Sequenzen verteilen sich kontinuierlich und ohne erkennbare Narration über die Bildschirme – ‚fading in, fading out‘. Sie kommen aus dem Dunkeln und lösen sich wieder darin auf, zwischenzeitlich bleiben die Bildschirme leer. Das werbende Versprechen, „behind the headlines“ schauen zu dürfen, korrespondiert mit dem Blick hinter die Kulissen der Filmindustrie. Und dennoch fehlt der aufklärende Gestus – zumindest in der erwartbaren Form. Denn streng genommen, wird den Betrachtenden nichts Konkretes mitgeteilt. Die aufwendigen Studiofassaden, die atmosphärischen Effekte liefern keine wahre ‚Hintergrundstory‘ zum Gesprochenen, aber sie provozieren die Frage, was denn das eine mit dem anderen zu tun haben könnte. Spürbar wird der Text von der Realität gelöst, die der Reisende doch mit eigenen Augen sehen wollte. Der Ich-Erzählung wird durch den Sprecherwechsel die authentische Anmutung genommen. Die Figur bleibt anonym und auch die geschilderten Situationen bleiben auf der Ebene des visuellen Materials in der Installation ort- und zeitlos. Löffels Umgang mit dem recherchierten Ausgangsmaterial zeigt sich dokumentarischen Verfahren verpflichtet, transformiert sie aber so stark, dass sie ihre indexikalische Logik verlieren. Das erinnert an Brechtsche V-Effekte, funktioniert zugleich aber, das möchte ich im Folgenden gerne genauer betrachten, nicht allein als anti-illusionistische Geste, als Bruch, sondern eher als eine Verschiebung und Übersetzung, die den Bezug zum Original nicht verliert, aber auch keine Übereinstimmung damit behauptet. Es ist nicht das Verhältnis von Fakt und Fiktion, wie es oft als Besonderheit eines künstlerischen Umgangs mit dem Dokumentarischen hervorgehoben wird, auf das diese Verschiebung hinarbeitet, sondern eher so etwas wie ein quasi unvollständiger Wechsel der ikonisch-indexikalischen Zeichenqualität in die symbolische, eine explizite Verschiebung des dokumentarischen Narrativs in ein erzählerisches im Rahmen einer Arbeit, die einem zeitgenössischen Realismus zugerechnet werden kann. Dabei kommt es aber gerade nicht zur Bestätigung der Idee einer einfachen Unterscheidbarkeit zwischen einem Hier der faktischen Realität und einem Da der fiktionalen, sondern das Erzählen von Realität wird als Reflexionsraum derselben erfahrbar. Einzelne, kleine Verbindungsstücke, wie die erwähnte Nennung des Buchtitels von Pelton oder die Zitate des Reiseanbieters im Cahier d’Artiste, stellen sicher, dass sich die Realitätsebenen von künstlerischer Arbeit und faktischer Realität nicht einfach voneinander lösen.
Das Verhältnis, in das man durch die Installation zu ihrem Ausgangsmaterial gebracht wird, ist eines der Beobachtung. Die Frage ist dann jedoch, was genau darin beobachtbar wird. Durch die genannten Verschiebungen ist das Verhältnis zu der Person des Reisenden, aber auch zu der Werbeprosa des Reiseanbieters, ein derart abstrahiertes, dass diese nicht selbst als Gegenstand der Betrachtung gelten können.
Gestisch zeichnet sich die künstlerische Vorgehensweise gegenüber ihrem Ausgangsmaterial durch Zurückhaltung aus. Nichts wird einfach exponiert und der Protagonist, der Ich-Erzähler, funktioniert wie in anderen Erzählungen auch als Transmitter zwischen dem Ich der Gegebenheit und dem Ich der Betrachtung. Vieles von dem, was er sagt, darf mit Wiedererkennung, mit Vertrautheit rechnen. Auch die Flugzeuginnenaufnahmen, die Nebelschwaden im Gebüsch, die Berliner Hausfassaden, die szenischen Handlungen der Stuntleute usw. entstammen einem filmsprachlichen Vokabular, das bekannt erscheint und durch die damit verbundenen unbestimmten Erinnerungen eine Atmosphäre schafft, die nicht durch konkrete Referenzen gefestigt und verortet werden kann. Auf diese Weise entsteht eine an sich undifferenzierte Gestimmtheit, in der ununterscheidbar bleibt, welchen Anteil daran eigene Flugerinnerungen oder Erlebnisse mit Nebel im Wald, also scheinbar unmittelbare Erlebnisse haben, und welchen dagegen Erinnerungen an vermittelte Ereignisse, etwa in Form von Nachrichtenbildern zu Flugzeugentführungen oder durch Action Filme und ihre Effekte. . Im Unterschied jedoch zu der immersiven Form vieler Erzählfilme, die den Aufbau von Atmosphären als Medium nutzen, um Betrachtende rauschähnlich fortzutragen, passiert hier in der installativen Montage der Elemente etwas nahezu Gegenteiliges: Wir werden gleichsam mitgenommen, um hier zu bleiben. Der Atmosphärenaufbau wird nicht durch einen analogen Narrationsaufbau erklärt, der ihm eine Bestimmung gäbe, sondern die Unbestimmtheit übernimmt im Gegenteil die Funktion, die Suche einer sinnhaften Erzählung zu beunruhigen. Ich fühle mich aufgefordert, Dinge zu sortieren, zu differenzieren und Verknüpfungen zu erkennen, die von der Spannung leben, scheinbar nicht Zusammengehöriges als zusammengehörend erkennen zu müssen. Fragen stellen sich ein, wie: Was hat der Krieg in Afghanistan mit dem Nebel in den Kulissen zu tun? Was hat er mit ‚mir‘ zu tun? Warum interessiere ich mich für das touristische Begehren des Abenteueres in der pauschalen Komfortzone? Woran fühle ich mich erinnert? Die Art der Betroffenheit, auf die Offscreen zielt, ist weder im moralischen noch im faktischen Sinn als einfach gegeben zu verstehen. Vielmehr geht es um das Fraglichwerden der Betroffenheit selbst: Von was genau fühle ich mich angesprochen?
„This is a trip for those who ,do‘, not watch“ – War es der Ruf der Tat, der den Abenteurer lockte, in die Ferne zu reisen, um die Bequemlichkeit und Passivität der Zuschauerposition zuhause zu verlassen, so antwortet die Arbeit von Löffel mit dem stillen Apell, hier zu bleiben und das was lockt genauer anzuschauen. Die Studiokulissen, Beleuchtungsapparaturen und Stuntszene-Übungen in Babelsberg lenken den Blick auf die cinematische Bildmaschinerie und die Erzählung von einer Belohnungsreise nach Studienabschluss lässt den Typus eines formatierten Medienkonsumenten anklingen. Aber auch wenn Audioebene und Videobild thematisch miteinander verschränkt gedacht werden können, überwiegt der Eindruck einer extradiegetischen Montage, deren konkrete Verknüpfungsanlässe unklar bleiben. Entfernt mag man in den Übungen der Stuntleute an geschilderte Szenen im Erzähltext erinnert werden, aber der Bezug ist nie eindeutig und es entsteht dadurch auch nicht der Eindruck einer stringenten Erzählung. Vielmehr drängt sich, wie auch in anderen Arbeiten Löffels, die Praxis des Übersetzens als Verfahrensbeschreibung auf und die explizit offen gehaltene Lücke zwischen dem Erzähltext im Audio und der Bilderzählung über drei Screens lässt mich an Roslers Arbeit The Bowery in two inadequate descriptive systems (1974/75) denken, die das dokumentarische Abbildverhältnis zu einer sozialen Realität als ethisches und zeichentheoretisches Dilemma verhandelt. Es ist ein Zeigen im Nicht-Zeigen, oder auch ein Zeigen des Nicht-Zeigens als Vorschlag zu einem anderen Umgang mit voyeuristischen Weltanschauungen. Mitchell hat, wie ich zu Beginn zitiere, auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Kritik der visuellen Kultur durch Fragen nach der Ohnmacht der Bilder zu verkomplizieren und nach den Bedingungen zu fragen, unter denen das subalterne Bild auf ein Gespräch eingeladen werden könne; Benjamin hat – und ich sehe darin eine gewisse Vergleichbarkeit – davon gesprochen, dass Aura ein Vermögen bezeichne, mit etwas Unbelebten gleichsam in einen echten Austausch von Blicken zu kommen. In beiden Fällen geht es darum, die Stabilität von Subjekt-Objekt- Relationen in Zweifel zu ziehen und stattdessen ein kommunikatives, relationales Feld von Begegnungen und Beziehungen zu erkennen, dass das Gegenüber mit dem Vermögen belehnt, uns anzuschauen, uns zu betreffen – sich zu subjektivieren. Dass in der Rede von einer Subjektivierung des Bildes, die dessen ‚Agency‘ erklärt, eine Gefahr irrationaler Verklärungen steckt, hat Mitchell erkannt und auch Benjamin hat wiederholt auf die Differenz seines Denkens zu okkulten (V)Erklärungen hingewiesen. Und genau an dieser Stelle bietet sich aus meiner Sicht der Blick auf das Montageprinzip von Offscreen an: Wenn sich das, was diese Arbeit zeigt, mir gegenüber in der Betrachtung subjektiviert und das heißt mir förmlich wie eine Person gegenübertritt, die mit mir zu sprechen beginnt, dann gerade nicht, weil es sich auf eine Person konzentriert – auf die Künstlerin, den Protagonisten der Recherche oder die personifizierbare Vorstellung einer Erzählstimme der Arbeit – sondern weil mich ein semantischer Raum bannt, der mir etwas in dem, wie er es erzählt, als fraglich erfahrbar macht. Weder wird mir politisch etwas zur Krise in Afghanistan erklärt noch erfahre ich von einer klaren Position gegenüber der Fragwürdigkeit des Kriegstourismus und ihrer Beziehung zu Kriegsfilmästhetiken usw. Man könnte das als Schwäche der Arbeit kritisieren, wenn man von ihr eine deutliche Positionierung verlangt; man kann es aber auch als ihre Stärke „positiv kritisieren“, weil es, ähnlich emanzipativen pädagogischen oder auch psychoanalytischen Momenten, einen Raum öffnet, der den Betrachtenden nicht Ergebnisse einer Analyse mitteilt, sondern sie dazu provoziert, analytisch zu werden und Verbindungen zu suchen.
Die kulturelle Teilhabe („CULTURAL ENGAGEMENT“), die die Texte des Reiseanbieters versprechen, bleibt eine buchstäblich vorübergehende. Gewiss ist es nicht unmöglich, dass dabei auch Situationen entstehen, die die Verhältnisse selbst vorübergehend umkehren. Das touristische Regime an sich aber bleibt ein unverändert voyeuristisches, dessen Blickbegehren sich die Welt (der anderen) untertan macht. In der Arbeit Offscreen werden Betrachtende auf ihrer Traumreise dagegen nicht in die Ferne geschickt – nicht nach Babelsberg und erst recht nicht nach Afghanistan – sondern allenfalls durch die immersive Ästhetik in einen Zustand der Schwebe versetzt, der nach Halt suchen lässt: im Hier und Jetzt.
Wie Mieke Bal in ihrem Beitrag zum Katalog Videodreams (und auch sonst) betont, hat die Ästhetik von Videoinstallationen ein großes Potenzial, Subjektivierungsfragen zu bearbeiten. Auch Offscreen lädt zu einer Art Gespräch ein, zu einem intersubjektiven Austausch. Gegenüber dem voyeuristischen Blick, der darauf angewiesen ist, nicht entdeckt zu werden, um ungestört schauen zu dürfen, sind es in Arbeiten wie denen von Rosler oder Löffel nicht etwa Augenpaare, die aus den Bildern zurück blicken, um zu enttarnen – sondern es sind die Ränder und Lücken der ‚nichtadäquaten Beschreibungssysteme‘ selbst, die hier ihren Blick aufschlagen und uns Betrachtende auffordern, nachzudenken, Zusammenhänge zu suchen, Standpunkte zu beziehen. Ich fühle mich aufgefordert, der Tatsache in die Augen zu blicken, dass wir sogar mit unserem Begehren, die Welt hinter den Schlagzeilen zu sehen, herrschaftliche Blindheiten kultivieren.
[…]
Der Schluss, den ich hier ziehen möchte, lässt sich vielleicht am besten durch einen Vergleich der ästhetischen Argumentation von Offscreen mit der des Essayfilms Bilder der Welt und Inschrift des Krieges (1988) von Harun Farocki herstellen – ein Vergleich der naheliegt aufgrund thematischer wie formaler Bezugspunkte und der gleichzeitig unnötig oder falsch erscheint, wenn man darin eine Chronologie der ästhetischen Formen oder gar eine Wertung sucht. Stattdessen geht es mir um eine Differenzierung von Perspektiven. Auf Farockis Film, den ich als bekannt voraussetze, gehe ich jetzt nicht näher ein, aber was mich im Kontext der Frage nach dem Handeln mit Bildern / Images as Agents daran interessiert, ist die Perspektive, die ich hier als Zuschauende gegenüber den Bildern einnehme. In Bilder der Welt … werden wiederholt Hände gezeigt, die mit Bildern arbeiten, sie sortieren, rahmen, ausschneiden usw. – handelnde Hände. Dies sind zum einen die Hände von anderen in gefundenen Gebrauchsfilmen, die Bilder produzieren oder analysieren, zum anderen sind es die Hände Farockis, der sich im Umgang mit dem Recherchematerial zeigt und damit den Beobachtungsstandpunkt der analytischen Montage klärt. Harun Farocki gehört zu den Bildermachern, die ganz genau auf die Hände derjenigen schauen, die tatsächlich mit Bildern arbeiten – seien es die eigenen, in Form einer kritischen Selbstbefragung, oder seien es die derjenigen, für die Bilder nicht als solche, sondern nur im Sinne ihrer Brauchbarkeit relevant sind: als Dokumente. In seinem Beitrag How to open your eyes zu Harun Farockis Monografie Against What? Against Whom? (2009) weist Didi-Huberman nachdrücklichen darauf, dass es keine unschuldigen, das heißt von Menschenhand unberührten Bilder geben könne, da jedem Bild eine menschliche Geste, ein menschlicher Blick oder Gedanke eingeschrieben sei – und sei es auch nur in Form des gewählten technischen Mittels. Die ebenso ethische wie methodische Frage im Umgang mit Bildern sei demnach stets, was genau die Hand gemacht habe, in welcher Weise und zu welchem Zweck also eine ‚Manipulation‘– wörtlich eine ‚Handhabung‘ – stattgefunden habe. Programmatisch formuliert er damit die Verbindung von Ethik und Ästhetik, von Kunst und Politik, zu einer Frage der gestischen Handlung und ihrer Interpretation: „We use our hands for better or for worse, we strike or stroke, build or break, give or take. We should, in front of each image, ask ourselves the question of how it gazes (at us), how it thinks (us) and how it touches (us) at the same time.“
Die Fragen, die Didi-Huberman hier als bedeutsam im Umgang mit Bildern ausweist, sind nicht nur als generelle Beschreibung eines kulturanalytischen Bildinteresses lesbar, sondern auch, wie ihre Herleitung aus der Beschäftigung mit Farockis Arbeit zeigt, als ein Fragenfeld in das wir durch künstlerische Arbeiten eingeführt und verwickelt werden können. Dass es dabei nicht um die Präsentation von Antworten, sondern um das (Mit-)Teilen von Fragen geht, ließe sich sowohl für Farockis als auch für Löffels Arbeiten behaupten, die beide Ähnlichkeiten mit der Montagepraxis von Brecht zeigen – aber während die Ähnlichkeit zu einem Lehrstück bei Bilder der Welt … gegeben scheint, wirkt Offscreen in dieser Hinsicht weniger mit Brecht denn mit Benjamin vergleichbar. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich. In Offscreen gibt es nicht nur keine sichtbaren Hände, sondern strenggenommen keine Handlung mehr gibt, denn auch die der Stuntleute bleibt provisorisch, eine Anspielung, ein Verweis; ebenso wie das leere Innere der Flugzeugkulisse und das atmosphärische Äußere. Es ist eine Sprache der leeren Räume, die wir durchaus auch im Film diegetisch eingebunden kennen, etwa zur Ankündigung von Unheil. Dann scheint etwas noch nicht Anwesendes bereits seine künftige Anwesenheit wie ein Schatten voraus zuwerfen – oder umgekehrt – als könne das filmische Auge es schon sehen, bevor es sichtbar wird. Die leeren Räume funktionieren aber auch im Sinne einer Tatortfotografie, die auf die Anwesenheit einer Szene hindeutet, die bereits in der Vergangenheit liegt. Mit Benjamin ließe sich diese Anwesenheit einer an sich abwesenden Handlung, die durch die nicht-diegetische Montage von Erzähltext und Bildsprache und die daraus resultierende zeitliche Paradoxie von Nacherzählung und atmosphärischer Antizipation zustande kommt, durchaus als auratische Wirkung beschreiben. Bei aller Rätselhaftigkeit wenn nicht Widersprüchlichkeit, die der Verwendung des Aura-Begriffs bei Benjamin bleibt, scheint mir das Konzept, ein gegenwärtiges Phänomen mit dem Vermögen zu belehnen, den Blick aufzuschlagen und damit erfahrbar zu werden, ein nach wie vor lohnendes Anliegen einer kulturanalytischen künstlerischen Praxis. In Löffels Zeigen im Nicht-Zeigen schärft sich die Wahrnehmung für die Relationen der Bilder zueinander außerhalb ihrer selbst – werden die Beziehungen zwischen Produktionsaufnahmen aus Babelsberg und Reisebericht eines touristischen Abenteurers zu einer Befragung des Verhältnisses zwischen Krieg und Nachricht in der Kriegsnachricht. Offscreen: Als Zuschauende bekommen wir nichts zum Zuschauen geboten, wir bekommen keine Handlung vor Augen geführt, aber unsere ‚Augen‘ werden aufgefordert, selbst zu handeln (How to open …), tätig zu werden. Es ist kein konkreter Appell, keine Handlungsanweisung, nichts, was uns zu Befehlsempfängern der künstlerischen Arbeit machen könnte – vielmehr ist es eine konstellative Aporie: die Schaffung eines Reflexionsraumes, der kritisch stimmt.