SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz

Herausgeber : Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft
Text : Sigrid Adorf, 2019

Truppenübungsplätze, internationale Fachmessen der Waffen- und Sicherheitsindustrie sowie der globalen Finanzbranche, Pauschaltourismus in Krisengebiete, juristische Rollenspiele und Leistungswettkämpfe zur Vertretung globaler Handelsinteressen – die Themen, Orte und Akteurinnen und Akteure, an die sich Gabriela Löffel heranwagt, sind brisant. Ihre Arbeiten zeugen von einem Standpunkt der Nähe und genauen Beobachtung, den sie bei ihren Recherchen einnimmt. Zugleich aber hält sie Distanz und bringt die Themen den Betrachtenden nicht etwa in Form von Enthüllungen näher, sondern als übersetztes, den üblichen Aufmerksamkeitsfokus verschiebendes Material: So werden etwa in Setting (2011) die Erlebnisberichte von Statistinnen und Statisten, die im Training amerikanischer Soldaten auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern die Zivilbevölkerung darstellen und an der Inszenierung von Kriegsszenen beteiligt waren, von einer Schauspielerin nachgesprochen; zudem wird die Installation von Videos begleitet, die den mit der Vertonung des Erzählten beauftragten Sound Designer bei seiner Arbeit zeigen. Ähnlich transformierend geht Löffel in Offscreen (2012/2013) vor: Der Bericht eines jungen Afghanistan-Reisenden, der das Pauschalangebot rückblickend auf das Preis-Leistungs-Verhältnis eines Abenteuersuchenden beurteilt, wird von einem Profi nachgesprochen und ist über Funk-Kopfhörer zu hören. Gleichzeitig bewegt man sich in der Ausstellung zwischen drei grossformatigen Projektionen, auf denen atmosphärische Kulissenaufnahmen der Filmstudios in Babelsberg und Action-Szenen übende Stuntleute in Trainingskleidung zu sehen sind. In [Performance] von 2017 wird die Audioaufzeichnung einer Ansprache, die ein Chief Technology Officer (CTO) einer Homeland-Security Firma auf einer internationalen Fachmesse der Sicherheitsindustrie hielt, zum Ausgangsmaterial eines Auftrittscoachings für einen Probanden mit einer professionellen Sprechtrainerin, wobei das gefilmte reale Training im Konferenzzentrum der Ecole polytechnique fédérale (EPFL) in Lausanne stattfand.

Probesituationen, Bühnen und leere Zuschauerreihen, Simulationstechniken – die wiederkehrende Betonung der Differenz zur realen Situation in Löffels Arbeiten kontrastiert mit dokumentarischen Konventionen, ist aber im Brecht’schen Sinn dem Realismus zuzurechnen, der «die eigentliche Realität [, die] in die Funktionale gerutscht [ist]» wiedergibt.

Selbst dort, wo Löffel mit Originalaufnahmen arbeitet, wie bei den Fotoserien Ohne Titel (2012) und Unseen (2016), zeigt sie kein dokumentarisches Interesse, sondern rückt die Rahmenbedingungen und Inszenierungsformen ins Zentrum. Den Techniken und Ökonomien globaler Mächte auf der Spur, schaut Löffel in allen ihren Arbeiten genau hin: auf die Narrative, die geschulte Rhetorik, die auswechselbaren Performenden, die Geschäftsräume und Marketingstrategien. Ihr künstlerischer Ansatz gleicht einer Art Habitat-Forschung, mit der sie die «die enorme Abwesenheit des Politischen dieser komplexen Realitäten» einzufangen versucht, wie sie in einem Gespräch zu The Case (2015) erklärt. Ihr Hinschauen auf diese anwesende Abwesenheit lässt ihre Installationen zu beunruhigenden Reflexionsräumen werden.

http://www.sikart.ch/gabriela_loeffel